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Caption: WARNSCHUSS
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Ein Tag in der Jugendarrestanstalt
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Caption: Ein Blick aus den vergitterten Fenstern macht deutlich, wie die Zukunft der straffällig gewordenen Insassen der Jugendarrestanstalt (JAA) Moltsfelde aussehen könnte, wenn sie ihr Leben nicht grundlegend ändern:
Aus den Zimmern mit "Meerblick" sind zwar ein Hof mit Teich und grasenden Büffeln zu sehen – und doch möchte dort niemand freiwillig hin.
Caption: Der Hof mitten in Schleswig-Holstein gehört nämlich zum Freigängerprojekt der Justizvollzugsanstalt (JVA) Neumünster. Wer dort landet, befindet sich meist am Ende einer langjährigen Haftstrafe und wird nun auf das Leben in Freiheit vorbereitet. Wer gegenüber in der Jugendarrestanstalt – der einzigen in Schleswig-Holstein – aufgenommen wird, bei dem besteht die Hoffnung, dass er in seinem Leben noch die Kurve bekommt und die JVA niemals von innen sehen muss.
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Caption: Einer, der sowohl JVA als auch JAA kennt, ist Mohammed B. (Name geändert). Er war zunächst in der Jugendarrestanstalt, landete dann aber wegen Drogendelikten doch noch im Gefängnis. Nun, am Ende seiner Haftstrafe, besucht er regelmäßig die JAA, um den Insassen den Kopf zu waschen.
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Caption: Essensschalen, ein Gürtel mit dem man sich nicht aufhängen kann, Zahnpasta und Badelatschen. Das ist eure Zukunft! Mohammed breitet sein spärliches Knastbündel vor den Jugendlichen aus
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Caption: Die Jugendlichen sind aus ganz unterschiedlichen Gründen in der JAA. Da gibt es Räuber und Gewalttäter ebenso wie Schwarzfahrer. Was Mohammed über das Leben in der JVA erzählt, schockiert alle: "Da haben wir es ja noch richtig gut.", entfährt es einem dünnen Jungen mit Brille
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Caption: Denn im Gegensatz zum eintönigen Leben im Knast gibt es in der JAA ein umfangreiches Freizeitprogramm – und morgens ein reichhaltiges Frühstück mit frischen Brötchen.
"Wir arbeiten hier mit über die Jahre gewachsenen, unterschiedlichen pädagogischen Ansätzen, die auf viele Besucher erst einmal befremdlich wirken. Einige sagen, sie könnten sich gut vorstellen, hier auch einmal ein paar angenehme Tage zu verbringen", sagt Oliver Glüsing, der stellvertretende Leiter der Einrichtung. In der JAA sollen die Jugendlichen ganz viel pädagogische Arbeit erfahren, ohne es überhaupt zu merken. "Das fängt schon beim gemeinsamen Frühstück an. Die meisten Arrestanten kennen so etwas überhaupt nicht von zu Hause und müssen erst einmal für uns ganz selbstverständliche Dinge lernen." Sätze am Frühstückstisch wie "Gib mir mal bitte die Butter" kennen viele der Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Alter zwischen 14 und 27 Jahre nicht.
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Caption: Der Aufenthalt in der JAA soll wie ein Warnschuss wirken, der zwar nicht weh tut, aber noch lange in den Ohren dröhnen soll. "Den Jugendlichen soll durch den Aufenthalt nichts kaputt gemacht werden", betont Glüsing. Ein Eintrag ins Führungszeugnis folgt durch den Arrest nicht – Schüler leisten ihn während der Ferien ab. Wer nicht möchte, dass Freunde von der Strafe erfahren, kann es geheim halten. "Meine kleine Schwester denkt, ich bin im Urlaub, aber meine Schule weiß Bescheid", sagt ein 15 Jahre altes Mädchen mit kurzen schwarzen Haaren.
"Ist ja auch wie Urlaub hier", meint der unauffällige Junge, der neben ihr sitzt. "Aber wie langweiliger Urlaub", ergänzt ein fülliger Jugendlicher mit Igelfrisur.
Caption: Nach dem Frühstück beginnt die freiwillige Gruppenarbeit mit einer Theoriestunde – Thema: das deutsche Strafrecht. Da den Jugendlichen jede Ablenkung recht ist und sie auf eine vorzeitige Entlassung spekulieren, ist es die Ausnahme, dass sich ein Arrestant der Gruppenarbeit verweigert.
Viel schwieriger ist es, die Jugendlichen erst einmal in die Arrestanstalt zu bekommen, sagt Glüsing: "Wenn 30 Jugendliche geladen sind, rechnen wir damit, dass nur zehn zum ersten Termin erscheinen. Die übrigen kommt verspätet oder erst zum zweiten Ladungstermin. Jeder Fünfte wird von der Polizei gebracht", sagt der stellvertretende Anstaltsleiter. Auf der Straße, so Glüsing, seien manchmal abschreckende Geschichten über Moltsfelde zu hören. "Zum Beispiel, dass man in der ersten Freistunde in eine Ecke gedrängt, verprügelt und abgezogen wird. Wer dann aber erst einmal hier ist, merkt schnell, dass der Alltag ganz harmlos ist."
Caption: Gestern haben die Insassen gelernt, wie sich die Jugendarrestanstalt von einer Justizvollzugsanstalt unterscheidet. Heute wird nachgefragt, was hängengeblieben ist. Der Jugendliche mit der Igelfrisur antwortet: "Das Wichtigste ist, dass man in der JVA fernsehen kann und in der JAA nicht." Der Justizvollzugsbeamte, der die Jugendlichen unterrichtet, findet hingegen viel wichtiger, dass die Arrestanten nach ihrem Aufenthalt in der JAA nicht vorbestraft sind. Der Junge mit der Igelfrisur verdreht die Augen.
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Caption: Nach der Theoriestunde erklärt der junge Mann, warum ihm sein Fernseher so fehlt: "Man schaut hier die ganze Zeit gegen eine Wand; da wird man verrückt. Aus lauter Langeweile habe ich wieder angefangen zu malen."
Da alle elektronischen Medien tabu sind, müssen die Arrestanten neue Beschäftigungen finden. Da wird auf einmal gemalt und Bücher verschlungen. ",Die Kinder vom Bahnhof Zoo' müssen wir jedes Jahr neu bestellen, weil das Buch sonst zu vergriffen ist", sagt Glüsing.
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Caption: Nach der Theoriestunde bauen die Jugendlichen im Werkraum ein Holzfaden-Bild, um der Familie ein kleines Andenken aus Moltsfelde mitzubringen. Nachmittags stehen Sport- und Kreativangebote zur Wahl. "In Deutschland gehören wir mit Sicherheit zu den besten Arrestanstalten, so ein umfangreiches Vormittags- und Nachmittagsprogramm gibt es sonst nicht", betont Glüsing. "Die jungen Menschen einfach nur wegzusperren, würde ja auch wirklich nichts besser machen."
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Caption: Jeden Morgen kümmern sich sechs Erzieher und Justizvollzugsbeamte um die Arrestanten. Bei momentan neun Jugendlichen hat die Anstalt einen Betreuungsschlüssel, von dem Kitas nur träumen können. Das ist nicht selbstverständlich. In anderen Bundesländern ist die Personalsituation wesentlich schlechter. Theoretisch gibt es in der JAA Platz für 57 Jugendliche, doch bei mehr als 20 Arrestanten, meint Glüsing, könne man nicht mehr gut arbeiten. Maximal vier Wochen bleiben die jungen Menschen in Moltsfelde.
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Caption: Betreuerin Uta Hinz ist von dem Konzept der Anstalt überzeugt: "Wir können uns bei der Umsetzung von neuen Freizeitprojekten frei entfalten. Dafür ist auch immer Geld vorhanden." Die viele Zuwendung hilft, was man auch am Miteinander der Jugendlichen untereinander merke, so die Betreuerin. Mehr als ein paar Rangeleien, wie auf Schulhöfen üblich, gebe es nicht. "In der JAA bekommen die Jugendlichen die Aufmerksamkeit, die ihnen bisher verwehrt blieb", sagt die Betreuerin.
Caption: Viele Arrestanten kommen aus einem schwierigen Elternhaus und haben Probleme mit Drogen. Während des Arrests können sie diese Realität hinter sich lassen und eine neue Rolle einnehmen. Nach dem Aufenthalt entscheidet sich dann, ob sie durchhalten. Fast 30 Prozent der Arrestanten, die 2016 aufgenommen wurden, waren nicht zum ersten Mal in Moltsfelde. Oft liegt das aber auch daran, dass die Jugendlichen von ihrer Vergangenheit eingeholt werden, weil sie sich auf einmal vor Gericht für ein länger zurückliegendes Delikt verantworten müssen. "Sobald jemand ein drittes Mal zu uns kommt, schreiben wir in den Bericht, dass wir weitere Aufenthalte pädagogisch nicht sinnvoll finden", sagt der Erzieher Harald Nissen. Die Gerichte im nördlichsten Bundesland halten sich nicht immer an diese Empfehlung. So gibt es Jugendliche, die bis zu neunmal in der Jugendarrestanstalt landen. Viele Richter wüssten gar nicht, wie in Moltsfelde gearbeitet wird. "Die sind dann ganz überrascht, wenn sie uns an einem Tag der offenen Tür mal besuchen", so Glüsing
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Caption: Für Jannis H. (Name geändert) soll es der letzte Aufenthalt in Moltsfelde sein. Eigentlich drohten ihm 18 Monate Haft. Er ging in Berufung und bekam stattdessen zwei Wochen Jugendarrest verordnet. Davon sind nun zehn Tage um. Morgen wird er wegen besonders guter Führung entlassen. "Ich habe mir das hier alles ganz anders vorgestellt und hätte nie gedacht, dass wir zum Beispiel eine Fahrradtour machen. Aber die zwei Wochen waren trotzdem hart. Vor allem, weil ich meine Freundin nicht sehen konnte. Am Schlimmsten war das Wochenende. Da gibt es kein gemeinsames Frühstück und langen Einschluss. In dieser Zeit habe ich sehr viel nachgedacht", sagt Jannis, der zudem betont: "Wenn man den Aufenthalt richtig nutzt, kann man richtig was mitnehmen." Jannis sagt, dass er nun wisse, dass er 18 Monate Haft nicht aushalten würde. "Den Warnschuss hier in Moltsfelde habe ich auf jeden Fall gehört."